|
|
 |
|
Es war einmal ein Zauberer, der zog von Dorf zu Dorf. Er zeigte den Kindern allerlei Kunststücke und brachte sie damit zum Lachen. Eines Tages kam er in ein besonders stilles und abgelegenes Dorf. Die Kinder rannten alle zum Dorfplatz, als sie hörten, der Zauberer sei da. Die großen Jungen drängelten, einige vorwitzige Mädchen versuchten sich die besten Plätze ganz vorne zu sichern. Als Stille eingetreten war, begann der Zauberer mit seiner Vorstellung. Die Kinder jubelten, denn noch nie hatten sie gesehen, wie jemand gleichzeitig mit fünf Bällen spielen konnte, danach ein Kaninchen aus dem Hut zauberte und sogar eine Taube aus dem Kragen eines der Jungen zog, der in der ersten Reihe stand. |
|
Am Ende seiner Vorstellung breitete der Zauberer einen Teppich aus, und er fragte die Kinder, wer sich getraue mit ihm fortzufliegen, um die Welt zu erkunden. Natürlich wollten alle mitfliegen. Da ging der Zauberer durch die Reihen der Kinder und schaute alle aufmerksam an. Da wurden die Kinder schweigsam, denn der Zauberer hatte einen durchdringenden Blick, und die Kinder fürchteten sich ein wenig. Schließlich ging er auf ein kleines Mädchen zu, das die ganze Zeit etwas abseits gestanden und dem Zauberer und den anderen Kindern zugeschaut hatte. Das Mädchen war etwas verwachsen und wurde deswegen oft von den anderen gehänselt. Schweigend nahm der Zauberer das Kind an die Hand und führte es auf seinen Teppich. Das Kind blickte sich verlegen um, aber es wagte nicht zu widersprechen. Dann setzte sich der Zauberer mit gekreuzten Beinen auf den Teppich, und das Kind setzte sich vor ihn. Der Zauberer murmelte eine Zauberformel, und alsbald erhob sich der Teppich, und die beiden glitten sanft über das Dorf hinweg. Sie flogen über Gebirge, Täler, Seen und Wälder. Das Kind traute seinen Augen nicht, weil es noch nie so viel Schönheit gesehen hatte, denn das Dorf, in dem es wohnte, war von hohen Bergen umgeben, so dass oft monatelang kein Sonnenstrahl in das enge Tal dringen konnte. Wie es nun so auf dem Teppich saß und die Welt unter sich vorbei gleiten sah, wurde das Kind ganz fröhlich, und es schmiegte sich an den Zauberer. Der zeigte dem Kind die Schönheiten der Erde: Städte und Flüsse, Berge und Täler und schließlich das Meer. Das Kind konnte kaum glauben, was es alles sah, und mit der Zeit verlor es seine Schüchternheit. Des Tags sahen die beiden die Erde unter sich, des Nachts blickten sie in den Sternenhimmel. So ging es viele Tage und viele Nächte, bis sie nach vierzig Tagen am Rande einer Wüste halt machten. Der Zauberer sprach zu dem Kind: „Nun ist die Stunde des Abschieds gekommen, und Du musst alleine weiterziehen.“ |
|
Da wurde das Kind ganz traurig, weil es nicht wusste, was es tun sollte. Zurück konnte es nicht, denn die Heimat des kleinen Mädchens hatten die beiden lange hinter sich gelassen, und vor ihm lag eine unendliche Ödnis. Da fing das Kind an zu weinen, weil es weit und breit nur Sand und schroffe Felsen sehen konnte, und weil es Angst hatte ohne den Zauberer, so ganz alleine vor der Unendlichkeit der Wüste. Der Zauberer gab dem Kind alles, was es brauchte: Ein Kamel und einen Kanister mit Wasser, eine warme Decke für die Nacht, denn die Nächte in der Wüste sind sehr kalt, genügend Nahrung und einen Kompass. Dann erklärte er dem Kind noch die Gestirne am Himmel. Die Sterne, so sprach der Zauberer, würden nachts über dem Kind leuchten, so dass es nie alleine sei. Mit diesen Worten verabschiedete er sich, umarmte das Kind und verschwand. |
|
 |
|
Das Kind, wie es da so ganz alleine am Rande der Wüste stand, machte sich schweren Herzens auf den Weg. Es sattelte sein Kamel, band den Wasserbehälter und den Sack mit Nahrung fest und befragte seinen Kompass. Die Sonne brannte, und das Kind fühlte sich sehr allein. Wie war es so schön gewesen mit dem Zauberer über Felder, Wälder und Städte zu fliegen. Nun sah es nichts als den Wüstensand, Felsen und ausgedorrtes Gestrüpp. Am Abend des ersten Tages legte es sich neben einem verkrüppelten Baum schlafen, nachdem es seinem Kamel zu fressen und zu trinken gegeben hatte und selber getrunken und gegessen hatte. Es wurde vollkommen dunkel, und das Kind blickte hinauf zum Himmel. Noch nie hatte es ein solches Himmelszelt gesehen. Es versuchte, die Sternbilder, die der Zauberer ihm erklärt hatte, zu sehen. Aber es konnte kein einziges entdecken. Schließlich weinte es sich in den Schlaf. |
|
Am nächsten Morgen stand es auf, fütterte sein Kamel und machte sich wieder auf den Weg. Als die Mittagshitze brannte, ließ es sich bei einem Felsen nieder, der ein wenig Schatten spendete. Das Kind war erschöpft. Am Nachmittag, als die Hitze etwas nachgelassen hatte, machte es sich wieder auf den Weg. In der Ferne sah es einige Tiere. Es konnte sie aber nicht erkennen. Am Abend des zweiten Tages legte sich das Kind nieder und wartete auf die Sterne. Dann schlief es ein, erfüllt von der Schönheit des Himmels. |
|
Am nächsten Tag erhob sich ein Sandsturm, und das Kind suchte Zuflucht in einer Höhle. Nachdem der Sandsturm sich gelegt hatte, bestieg das Kind wieder sein Kamel. Am Nachmittag traf es auf eine Gruppe von Reitern. Die umkreisten das Kind für eine Weile, und das Kind bekam Angst. Sie sprachen Worte, die das Kind nicht verstand. Dann ritten sie weiter, ohne dem Kind ein Haar zu krümmen. |
|
Am sechsten Tag waren die Wasservorräte aufgebraucht, und das Kind wusste nicht mehr weiter. Es hatte schrecklichen Durst und fühlte sich ganz allein. Der Zauberer hatte ihm von den Oasen erzählt, die es in der Wüste gebe. Dort könne man Wasser schöpfen. Aber weit und breit war nirgends eine Oase zu sehen. So ritt das Kind weiter. Endlich sah es in der Ferne Palmen, die sich im Winde wiegten. Als es jedoch näher kam, war die Oase verschwunden. Da weinte das Kind, denn es wusste nicht mehr ein noch aus. Ich werde verdursten und in dieser Ödnis sterben, dachte es. In der Nacht, als die Sterne leuchteten, sah es zum ersten Mal die Sternbilder, von denen der Zauberer gesprochen hatte. Es erkannte sie ganz klar. Trotz des quälenden Durstes schlief es schließlich ein. |
|
Am Morgen machte sich das Kind auf und suchte weiter nach Wasser. Da entdeckte es am Horizont eine Gestalt, die langsam näher kam. Es war eine alte Frau, die ein schweres Gefäß trug. Die Frau blieb stehen, und das Kind stieg von seinem Kamel herab. Es zeigte der Frau seinen leeren Wasserbehälter. Da gab die Frau dem Kind von ihrem Wasser. Das Kind gab seinem Kamel zu trinken und trank dann selber. Dann setzten sich die alte Frau und das Kind nieder, und die Frau erzählte dem Kind, dass nicht weit von hier ein Dorf sei, wo die Menschen freundlich seien und Fremde gerne aufnähmen. Wenn es nur weiter in Richtung der Sonne ritte, könne es das Dorf nicht verfehlen. Da machte sich das Kind frohgemut auf den Weg, nicht ohne der Frau vorher für ihre Freundlichkeit und Hilfe zu danken. |
|
Es hatte aber vergessen zu fragen, wie viele Tagesreisen es noch brauche, um das Dorf zu erreichen. Es ritt weitere drei Tage und wurde immer mutloser, weil es das Dorf nicht finden konnte, von dem die Frau gesprochen hatte. Alles, was es sah, waren die Gestrüppkugeln, die, vorangetrieben vom heißen Wüstenwind über den Sandboden rollten. Die alte Frau hatte dem Kind erklärt, dass die Gestrüppkugeln die Samen der Pflanzen durch die Wüste trugen und dass sie, obwohl sie unansehnlich und sogar hässlich seien, für das Leben in der Wüste wichtig seien. Am Abend schlief das Kind neben einer Krüppelkiefer ein, nicht ohne zuvor am Sternenhimmel die Figuren zu suchen, die es nun schon ganz gut kannte. |
|
Das Kind, da es nicht wusste, wie lange es noch durch die Wüste ziehen würde und wo das Dorf, von dem die alte Frau gesprochen hatte, lag, folgte den Gestrüppkugeln. Es dachte, es sei besser mit dem Wind im Rücken zu gehen, als sich gegen den Wind zu stemmen. Es hoffte, dass sein Wasser reichen, oder dass es bald auf eine Oase stoßen würde, wo es ruhen und seine Wasser- und Nahrungsvorräte wieder auffüllen könne. |
|
So zog es noch weitere vierzig Tage durch die Wüste. Am Ende des vierzigsten Tages sah es in der Ferne Palmen und unter den Palmen Hütten, vor denen Kinder spielten. Da wusste es, dass sein Leiden ein Ende hatte. |
|
 |
|